Power of Style. Ein Ausstellungsrundgang
Was tun, wenn man die Welt nicht mehr neu erfinden kann und man sich doch auf sie beziehen muss? Die Lösung von Max Schaffer liegt im Neu- und Uminterpretieren des Vorhandenen, im Verschieben und Verrücken des Vorgefundenen, im Übersetzen des Bekannten und nicht zuletzt in einem beständigen Unterlaufen von Erwartungshaltungen, die er zunächst selbst geweckt hat.
Die Details und Strukturen des öffentlichen wie institutionellen Raums sowie die Gesetz- mäßigkeiten der Präsentation, der Produktionsbedingungen und der Rezeption von Kunst sind die Fixpunkte, um die sich Schaffers formal und gattungsspezifisch vielseitiges Werk anordnet. So auch in seinem eigens für die GAK Gesellschaft für Aktuelle Kunst entwickelten Projekt Power of Style. Hier präsentierte er ein Gesamtbild, das sich aus verschiedenen Handlungssträngen zusammensetzte, unterschiedliche Vorgehensweisen vor- und gegeneinanderstellte und um das Verhältnis von Werk, Institution, Außen- und Innenraum, Wahrnehmung und Interpretation kreiste. Die verschiedenen Versatzstücke von Power of Style stellen unser Rezeptionsverhalten gegenüber Kunst und ihren institutionellen Zusammenhängen in den Mittelpunkt. Zuordnungen verschwimmen und Fragen stellen sich: Was ist Ausstellung, was institutionelle Organisationsstruktur? Was originäre Zeichnung, was ihre Interpretation oder wissenschaftliche Analyse? Was Kunst- werk, was Merchandising? Was künstlerische Audioarbeit, was touristische Führung? Wo hört das eine auf, wo fängt das andere an? Und schließlich: Wer entscheidet darüber – Künstler, Institution oder Betrachter/in?
Das Spiel mit den Erwartungen der Besucher/ innen äußerte sich bereits im ersten Instrument, mit dem die Ausstellung in der Öffentlichkeit sichtbar wurde – dem Plakat. Es zeigt nicht, wie sonst meist üblich, eine Arbeit, die im Anschluss in der GAK auch zu sehen gewesen wäre. Vielmehr gibt es einen vom Künstler in Auftrag gegebenen Schnappschuss aus dem Lager des Auktionshauses Van Ham wieder, auf dem sich eine Vielzahl der Affenbronzen von Jörg Immendorff in allen möglichen Ausführungen und unterschiedlichen Größen dicht an dicht stapeln. Sie entstammen dem Besitz des Kunstberaters Helge Achenbach, der zum Zeitpunkt der Aufnahme bereits wegen Betrugs verurteilt war, sodass seine Sammlung versteigert wurde. Um die Affenplastiken selbst rankt sich ebenfalls ein Skandal – haben sie doch auch noch nach dem Tode Immendorffs den Kunstmarkt überschwemmt und sind wegen fehlender Signaturen und missverständlicher Nummerierungen nicht eindeutig als Original oder Fälschung auszumachen.
Das Motiv des Plakates verband sich mit dem Titel der Ausstellung und deren genau gesetztem Eröffnungsdatum, um eine für das Gesamtprojekt prägende inhaltliche Ebene einzuführen: Power of Style lautet der Name einer Filmdokumentation von 2007, in der unterschiedliche Berliner Graffiti-Sprayer in ihrem Ringen um den einzigartigen Stil ihrer Tags vorgestellt werden. Das Datum der Eröffnung hingegen lag mit dem 20. Mai 2016 auf dem Geburtstag des französischen Schriftstellers Honoré de Balzac, dessen Schreibstil von Marcel Proust einmal als „Nicht-Stil“ charakterisiert wurde. Zwischen diesen Polen – einerseits der Unmöglichkeit, glaubhafte Zuordnungen herstellen zu können, andererseits dem Kampf um einen zweifelsfrei zuzuschreibenden Stil und schließlich dem ausdrücklichen Nicht-Stil als Stil – siedelte sich Schaffers Ausstellung an, bevor die Besucher/innen die GAK auch nur betreten hatten. Im Verbund mit den Vorgehensweisen der präsentierten Werke, die sich im weitesten Sinne unter der kunstgeschichtlichen Tradition der Institutionskritik subsumieren lassen, ergibt sich ein lustvolles Spiel mit den im Kunstbetrieb virulenten Kategorisierungsmechanismen und ein beständiges Infragestellen ihrer Vokabularien und deren Gültigkeit.
Max Schaffers Verwirrspiel führte sich beim Betreten der GAK deutlich ablesbar in der Tatsache fort, dass er die Wände zwischen Eingangs- und Ausstellungsbereich demontieren und die Büros nahezu leer räumen ließ. Die Arbeitsplätze des Teams fanden sich nun inmitten des Präsentationsbereichs wieder. Der organisatorische Unterbau der Institution stand dementsprechend gleichwertig neben Schaffers Wandbildern, Leinwänden, Interventionen, Audioarbeiten oder Objekten. Bereits 1974 ließ der US-Künstler Michael Asher die Trennwände zwischen Ausstellungsraum und Arbeitsplätzen in seiner Galerie in Los Angeles entfernen, um zu verdeutlichen, dass wir uns von der romantischen Vorstellung verabschieden müssen, das Kunstwerk würde allein im Atelier geschaffen. Vielmehr erhält jede künstlerische Arbeit ihre Bedeutung aus dem Ineinandergreifen verschiedener Bereiche, die zusammengenommen eine Art Wertschöpfungskette bilden: Neben den Künstler/innen sind das die Ausstellungsorte, die Galerien, die Kurator/innen, die Kritiker/innen, die Sammler/innen, die Besucher/innen – aber eben auch die Büroarbeit im Hintergrund, in der Transporte organisiert, Telefonate geführt, Emails geschrieben und Budgets verwaltet werden. Max Schaffer spielte Ashers Ansatz weiter, indem er nicht nur die Arbeitsplätze der GAK-Mitarbeiterinnen und sie selbst in den Ausstellungsraum verschob, sondern an vielfacher Stelle Hybride von Präsentations-, Merchandising- und Verwaltungsobjekten inszenierte. So wurden etwa leer geräumte Regale zu Displays für seine Leinwandarbeiten, während sie gleichzeitig ungeahnt autonome skulpturale Qualitäten entwickelten. Relikte, die Hinweise auf die ursprüngliche Nutzung der ehemaligen Büroräume gaben – wie aufgerollte Plakate, Smiley-Magnete an Metallpinnwänden, Kabelsalate auf dem Boden, Telefonladestationen oder die ausgelegten GAK-Publikationen – forderten ebenso wie Merchandising-Gegenstände in Form von bedruckten T-Shirts, Halstüchern, Kaffeebechern und Getränkedosen plötzlich Entscheidungen der Besucher/innen über ihre Rolle ein: Handelt es sich um künstlerische Setzungen oder um nicht weggeräumte Objekte aus dem Institutionsalltag? Darf man sie etwa anfassen und/oder für daheim erwerben? Ist diese Unterscheidung eigentlich wichtig? Und: Kann ich meinem Urteil trauen? Plötzlich war jedes Detail von Bedeutung und die üblichen Blickwinkel, aus denen wir die Welt betrachten und einordnen, gerieten ins Wanken. Die Rezipient/innen mussten sich außerhalb der von ihnen beim Betreten der Ausstellung noch erwarteten klassischen Rolle zurechtfinden. Statt sich mit klar definierten Kategorien von Kunstwerk und Nicht-Kunstwerk konfrontiert zu sehen, wurden ihnen selbständige Entscheidungen über den Status der Dinge abverlangt.
Schaffers Interesse an den institutionellen Unterkonstruktionen und den verschiedenen Ebenen der kunstbetrieblichen Wertschöpfungsmaschinerie, das sich in den genannten Verschiebungen bereits äußert, führt sich in einer Serie von Arbeiten fort, die sich in unterschiedlichen Ausformungen und Größen überall in der Ausstellung fanden. Sie haben ihren Ursprung in kleinen Zeichnungen, die von einem Kurator des GAK-Nachbarn Weserburg I Museum für moderne Kunst während seiner täglichen Telefonate am Rande von Emailausdrucken, Leihverträgen, Rechnungen oder auf Notizzetteln angefertigt wurden und die Max Schaffer im unmittelbaren Umfeld des Ausstellungshauses zufällig gefunden und sich angeeignet hat.1 Hingeworfene Telefonkritzeleien, wie sie nebenher entstehen, wenn man/frau sich auf die Gesprächspartner/innen am anderen Ende der Leitung konzentriert. Abstrakte wie gegenständliche Darstellungen, Striche und Formationen, die keinen künstlerischen Anspruch erheben und einem ausschließlich intuitiven Schaffensmoment entstammen, dabei oft den eben notierten Namen oder die durchgesagte Telefonnummer rahmend. Linienführungen, die ebenso dem institutionellen Organisationsapparat erwachsen sind wie die Arbeitsplätze im Ausstellungsraum und von denen keine vom Künstler selbst hergestellt wurde. Max Schaffer nimmt diese spontanen, intimen Gesten und überführt sie in mechanische Setzungen: Jeder Hinweis auf ihren Autor, in ihnen enthaltene Informationen oder ihren Entstehungszusammenhang wurde entfernt. Was übrig bleibt, die reine Zeichnung, wurde gescannt und fand sich in unterschiedlichen Versionen in der Ausstellung wieder.
Für die Serie Parergon (Bremer Hängung I – VII) etwa schickte der Künstler die digitalisierten Bilddateien an unterschiedliche Internetanbieter und ließ sie auf Leinwände variabler Größe drucken. Die dabei möglichen Verschiebungen wie Unterschiede in den Farbtönen oder Verwerfungen der nachlässig auf Keilrahmen aufgezogenen Leinwände begrüßte er dabei freudig als gleichwertigen Bestandteil im von Dritten ausgeführten Entstehungsprozess. An anderer Stelle wurden die digitalisierten Zeichnungen zum Verkaufs- und Werbeartikel, indem sie auf Kaffeebecher gedruckt auf Nachfrage von den Besucher/innen käuflich erworben werden konnten, oder zum identitätsstiftenden Gegenstand der institutionellen Corporate Identity wie im Fall der Seidenschals, die ebenfalls mit Elementen der Telefonzeichnungen bedruckt und vom GAK-Team zu den Öffnungszeiten der Ausstellung getragen wurden.
Bei der dreiteiligen Arbeit Review liegt dagegen zwischen Zeichnung und vergrößertem Ausdruck auf Leinwand ein zusätzlicher Zwischenschritt, bei dem Schaffer eine Zeichnung – ein mit wenigen Strichen hingeworfenes Portrait im Profil, mit geschlossenen Augen und eigentümlich langen Wimpern – an einen Gutachter für forensische Schrifterkennung schickte und von diesem in einem mechanischen Verfahren gleichsam „durchleuchten“ ließ. Review zeigt dementsprechend ein und dieselbe Zeichnung in drei durch verschiedene Scan-Vorgänge entstandenen Helligkeitsstufen.
Im Fall von Magic Moments (Variation I – III) variiert Schaffer seinen Umgang mit dem gescannten Material einmal mehr. Was im Original klein, intim und spontan war, wird hier nicht nur mechanisiert, sondern ins Extrem monumentalisiert, indem es großflächig an die Wand geworfen und mit Graniteffektspray aufgebracht wurde. Auch hier vermeidet Schaffer die eigene Handschrift und ließ die Arbeit ausführen. In einer Ermächtigungsgeste des Außenraums, in der um die Authentizität des eigenen Tags gerungen wird („Power of Style“!), wurde hier die GAK mit Zeichen besetzt, deren Stil niemandem mehr eindeutig zuzuschreiben war – nicht mehr dem eigentlichen Schöpfer (dem Kuratoren), nicht mehr demjenigen, der die Zeichnung neutralisierte und scannen ließ (dem Künstler) und auch nicht demjenigen, der die Arbeit schließlich ausführte (das Aufbauteam).
Sowohl bei Parergon (Bremer Hängung I – VII) als auch bei Review und Magic Moments (Variation I – III) wird durch den vom Künstler gesteuerten, aber nicht selbst ausgeführten Herstellungsprozess auf der Basis von etwas Gefundenem, hier der Telefonzeichnungen, etwas Neues geschaffen, das Walter Benjamins Feststellung in seinem Text Die Aufgabe des Übersetzers nahe kommt. Benjamin spricht davon, „daß keine Übersetzung möglich wäre, wenn sie Ähnlichkeit mit dem Original ihrem letzten Wesen nach anstreben würde. Denn in seinem Fortleben, das so nicht heißen dürfte, wenn es nicht Wandlung und Erneuerung des Lebendigen wäre, ändert sich das Original. Es gibt eine Nachreife auch der festgelegten Worte.“2 Dieser Gedanke scheint dem Ansatz von Max Schaffer durchaus zu entsprechen – als Idee, das Bestehende (nicht nur der Sprache) nicht als solches zu analysieren, sondern es in einen anderen Zusammenhang zu übertragen, in dem es neue Gültigkeit erlangt, ohne sich vollständig aus seiner Geschichte zu lösen.
Für die Serie Magic Moments (I – III) dagegen nutzt Schaffer die originalen Telefonkritzeleien. Der Übersetzungsprozess besteht hier in der Kontextverschiebung, der durch das Verlassen des Büros und die Präsentation innerhalb der Ausstellung stattfindet. Er wird unterstützt durch das außergewöhnliche Passepartout, mit dem der Künstler die kleinformatigen Zeichnungen rahmen ließ. Dieses nimmt sich nicht zurück wie bei herkömmlichen Rahmungen, sondern wird mindestens ebenbürtig präsentiert, indem es nahezu die gesamte Bildfläche bedeckt und nur einen kleinen Ausschnitt für die unterlegte Zeichnung frei lässt. Darüber hinaus besteht es nicht aus monochromem Papier in neutraler Farbgebung, sondern aus stark vergrößerten und damit verschwommenen S/W-Aufnahmen aus Graffitimagazinen – auch bei Magic Moments (I – III) also die Kombination aus Verinnerlichung (Telefonzeichnungen), Mechanisierung (Vergrößerung eines Bildelementes) und Außenraum (Graffiti) wie schon bei Magic Moments (Variation I – III).
Es scheint sinnvoll, an dieser Stelle eine kurze Bemerkung zu Schaffers Verbindung zum Außenraum einzufügen. Eine Verbindung, die mal versteckt, mal offensichtlich als begleitender Unterton für nahezu alle Arbeiten von Power of Style präsent ist. Das verwundert insofern wenig, da Max Schaffers künstlerische Produktion ganz existentiell aus dem öffentlichen Raum kommt und ohne diesen nicht zu denken ist. Bis zum heutigen Tag verfolgt er unterschiedlich ausgeführte Schriftsetzungen im Außenraum. Und auch dort, wo sich seine Arbeiten im Innenraum verorten, thematisieren sie doch fast immer das Außen oder die Schwelle zwischen dem Innen und Außen mit. In Power of Style ist dies der Fall in der Verwendung von Bildmotiven aus Graffitimagazinen als Passepartouts, im Sprühen der Telefonzeichnungen an die Wände, im Ausstellungstitel selbst oder in der Audioarbeit H.B., die auf den Ausflugsschiffen der Weser in unregelmäßigem Turnus an der GAK vorbeifuhr und durch die gekippten Fenster in den Ausstellungsraum wehte. Doch dazu später.3
Zurück in den Innenraum von Power of Style: Dort zogen sich an anderer Stelle mit acht Stiften solche Gegenstände in serieller Reihung über die Wände, mit denen Telefonzeichnungen hergestellt werden, die für den organisatorischen Alltag jeder Institution unverzichtbar oder als Merchandising-Objekte beliebt sind – und die somit eine Verbindung zu Parergon (Bremer Hängung I – VII), Review, Magic Moments (Variation I – III) und Magic Moments (I – III) herstellten. Alle Stifte der Serie Ohne Titel (Tactical Pen) I – VIII unterscheiden sich voneinander, doch auch sie wurden nicht vom Künstler selbst geschaffen, sondern in ausgiebiger Recherchearbeit gefunden und bestellt. Bei näherem Herangehen fällt ihre etwas vom Üblichen abweichende Erscheinung auf. Und bei genauem Hinsehen entpuppen sie sich als Kombination von Stift und Waffe. Damit schlagen sie den Bogen über die zeichnerischen Setzungen der Wandbilder und Ausdrucke und deren Verbundenheit mit der institutionellen Organisationsstruktur zur Idee der schriftlichen Äußerung und so zu einem weiteren Instrument der Wertschöpfung und Rezeption von Kunst: Ist doch die Verschriftlichung und damit Versprachlichung eines der wesentlichen Mittel in der Annäherung an Kunst, leistet doch das verschriftlichte Urteil etwa der Kunstkritik einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur Einordnung künstlerischer Haltungen und gerät zuweilen zur „Waffe“, die Wertschätzung oder Ablehnung produziert. Der Stellenwert, der der Versprachlichung im Zuge des Wertschöpfungsprozesses von Kunst in Power of Style zugestanden wird, erinnert an Ludwig Wittgenstein, der im Tractatus logico-philosophicus der Meinung war, dass „die Grenzen meiner Sprache (...) die Grenzen meiner Welt (bedeuten)“4 und daraus folgerte: „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“ 5
Nicht nur die Kunstkritik urteilt über Kunst und deren Ausstellungen, auch ihre Betrachter/innen tun dies – etwa in den großen Blanko-Büchern, die in den meisten Institutionen ausliegen und Kommentare der Besucher/innen versammeln. Für True 2 the Game (I-VII) hat Max Schaffer Passagen aus alten Besucherbüchern der GAK isoliert und diese graphologisch untersuchen lassen. Sieben Rahmen präsentieren ausschnitthaft die Analyse der Betrachter/innenkommentare – Urteile über die Urteile also. Doch liefern sie die ihnen innewohnende Anfechtbarkeit über das deutlich zu Tage tretende spekulative Moment der wissenschaftlichen Gutachten auf unterhaltsame Weise direkt mit. So wird etwa einem/einer Proband/in zugestanden, „sehr vielseitig ansprechbar und evtl. durch ein starkes Vaterleitbild beeinflusst“ zu sein sowie über „rasche Auffassung, Denkweite, selbständiges Urteil und guten Realitätsbezug“ zu verfügen. Der Wortlaut der anderen Arbeiten fällt ähnlich aus. Soviel charakterliche Offenbarung aus ein paar Zeilen Beurteilung eines Ausstellungsbesuchs kondensiert? Eine gewisse Skepsis wird trotz des nicht zu leugnenden Witzes solcher Ausführungen erlaubt sein. Auch hier schlägt das unverhältnismäßig präsente Passepartout die Verbindung zu Ermächtigungsgesten im Außenraum, indem es wie schon bei Magic Moments (I–III) extrem vergrößerte, hier farbige Motive aus Graffiti-Magazinen wiedergibt. Das nahezu Abstrakte der Vergrößerung ergänzt hier sinnfällig das Spekulative der graphologischen Gutachten. True 2 the Game (I-VII) verband sich innerhalb von Power of Style mit der schwarzen Kreuzform und den gleichfarbigen Zahlen der Arbeit fig. 1 (Variation nach M.B.), die sich als Klebefolie über den Boden des GAK-Ausstellungsraumes zogen und die Rasterstrukturen zitierten, mit deren Hilfe graphometrische Gutachten angefertigt werden. In ihrer monumentalisierten Version wurden sie zu Koordinaten, die den Raum strukturierten und den Besucher/innen Orientierungshilfe versprachen. 6
Während sich diese entlang der Klebelinien auf dem Boden durch Power of Style bewegten, Zuordnungen zu erstellen suchten, Formen interpretierten, Kaffeebecher in der Hand wogen oder über Verbindungen zwischen Stift und Waffe sinnierten, konnte es geschehen, dass das Geräusch eines vorbeifahrenden Schiffes und folgender Wortlaut durch die gekippten Fenster in die Räume wehte: „Was ist künstlerische Setzung, was touristische Führung oder Merchandising? Was ist Ausstellung, was Büro oder Stadtraum? Wo hört das eine auf, wo fängt das andere an?“ Für seine Audioarbeit H.B. 7 hat Max Schaffer den Veranstalter touristischer Bootstouren in Bremen gebeten, den regulären Fahrtenablauf beim Passieren des GAK-Gebäudes für das Verlesen eines Ausschnittes des zur Ausstellung erschienenen Pressetextes kurz zu unterbrechen, um danach ohne weitere Erklärung in die gewohnten Bahnen zurückzukehren. Das Ergebnis war ein kleiner Störmoment, der das Innen nach außen und das Außen nach innen trug und so schnell wieder vorbei war, dass weder GAK-Besucher/ innen noch Bootstourist/innen sich im Nachhinein sicher sein konnten, mit was man/frau es eigentlich zu tun hatte – mit einer künstlerischen Setzung, mit einer sperrig formulierten Stadtführung oder mit einer Täuschung der eigenen Sinne.
Im Zusammenschluss der verschiedenen Themenstränge von Power of Style wird eines offensichtlich: Durch seine konsequenten und vielfältigen Formen der Verrückung und Neuinterpretation stellt Max Schaffer die Frage nach der Erwartungshaltung, den Wahrnehmungsmechanismen und der Rolle der Betrachter/innen in der Annäherung an Kunst. Ästhetische Kategorien greifen hier nur am Rande. In Zeiten, in denen der politische Auftrag an Kultur und Kulturinstitutionen immer wieder lautet, möglichst „niedrigschwellige Angebote“ zu machen und die Betrachter/innen „abzuholen“, gibt Schaffer den Ausstellungsbesucher/innen ein Stück Eigenverantwortung zurück, indem er ihnen vertraute Bezugspunkte der Betrachtung entzieht und sie auf sich selbst verweist. Wer sich auf das Verwirrspiel einließ, das der Künstler in den GAK-Räumen inszenierte, entwickelte gleichsam neue, individuell unterschiedliche Herangehensweisen und Perspektiven. Und so ging es in Power of Style letztlich um die großen Fragen der Selbstvergewisserung: Wie blicke ich auf die Welt? Und bin ich mutig genug, meine eigenen Schlüsse daraus zu ziehen?
Janneke de Vries
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Ohne die Verbindung innerhalb der Ausstellung direkt offen zu legen – Fundort und Kurator wurden nicht benannt –entstand so eine unterschwellige Ortsspezifität, die sich mit einer zu diesem Zeitpunkt bereits jahrelang anhaltenden kulturpolitischen Debatte um die Existenz des Museums und seines Gebäudes verband, in dem nicht nur das Museum selbst, sondern auch die GAK Gesellschaft für Aktuelle Kunst beheimatet ist. ↩
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Walter Benjamin, „Die Aufgabe des Übersetzers“, in: Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser (Hrsg.), Walter Benjamin. Gesammelte Schriften, Bd. 4, Suhrkamp Taschenbuch, Frankfurt/ Main 1972, S. 12. ↩
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Mehr zu Schaffers Arbeiten im öffentlichen Raum s. hier den Text von Hemma Schmutz. ↩
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Ludwig Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus, Bibliothek Suhrkamp, Frankfurt/Main 1999, Satz 5.6. ↩
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ebd., Satz 7. ↩
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Das „M.B.“ im Titel spielt 06 auf Marcel Broodthaers und dessen variantenreiches Spiel mit der eigenen Signatur an. ↩
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Hier bezieht sich der Titel gleichermaßen auf die Hansestadt Bremen wie auf Honoré de Balzac. ↩