Max Schaffer. Alles Fassade?
Dépassement de l’art 1
2009 befestigte Max Schaffer eine Sprühdose am Geländer einer Wiener Rolltreppe und fixierte den Sprühkopf mit Klebeband. Es ergaben sich folgende Fragen: Welche Botschaft transportiert die schwarze Linie, die sich selbst generiert und so anonym bleiben kann? Welche Spur wird hinterlassen? In welchem Kontext möchte die Arbeit gelesen werden? Wer ist der Adressat von Max Schaffers Projekten im öffentlichen Raum und auf welcher Arbeit bauen seine Interventionen auf? Eine These dieses Textes, der Schaffers Werke im öffentlichen Raum zum Thema hat, lautet, dass es dem Künstler neben der Analyse der Funktionsweise von Systemen und Strukturen auch um die Frage geht, wie diese sich selbst darstellen. Er kratzt an deren Fassaden und stellt die unterschiedlichen Formen der Repräsentation zur Diskussion. Wie zeigt sich etwas nach außen, wie möchte etwas wahrgenommen werden? Diese Fragen spricht Schaffer in seinen künstlerischen Werken auf poetisch subtile Art und Weise an, dabei wird oft Körperliches integriert und bearbeitet wie Handschrift, Unterschrift, Schminke, Zeichnung etc.
Als ich Max Schaffer 2013 vorschlug, eine Wandarbeit für den Salzburger Kunstverein zu entwickeln, geschah dies im Kontext einer Reihe von künstlerischen Interventionen, die in besonderem Maße zu einer Öffnung des alteingesessenen Hauses und der Adressierung eines neuen Publikums führen sollten. 2 Das Foyer und die um die eigentliche Ausstellungshalle angelegte Ringgalerie bietet den eingeladenen Künstlern eine Formgelegenheit von besonderem Reiz. Die Ringgalerie könnte man mit öffentlichen Räumen der Stadt wie Bahnhöfe, Bushaltestellen oder Einkaufzentren vergleichen. Die langen Öffnungszeiten, die gebotene Infrastruktur (Restaurant, Toiletten) und eine Vielzahl dort ansässiger kultureller Institutionen führen zu einer beiläufigen Rezeption von Kunst beim Durchschreiten der Räume auf dem Weg ins Café oder zu einem der im Haus tätigen Künstler/innen oder Verein. Mit diesem „Trick“ und dem Ausschalten der Hemmschwellen, die mit dem Betreten des eigentlichen Ausstellungsraumes verbunden sind, sowie der spezifischen Sprache der unterschiedlichen Künstler gelang es, den genannten Intentionen des Projektes gerecht zu werden.
Die Institution selbst bzw. die Vielzahl der Texte, die in den letzten Jahren zur Vermittlung der Kunst für Pressetexte und Einladungskarten geschrieben wurden, sogenannte „Gebrauchstexte“, waren Material für Max Schaffers Arbeit Die Erleuchtung schlägt zurück. Wie in einer Reihe von anderen Ausstellungen und künstlerischen Arbeiten (wie dem Ausstellungsprojekt in der Gabriele Senn Galerie Wien von 2012, bei dem er sich das ausgebaute Belüftungssystem der Secession aneignete, oder der Arbeit Catalogue Raisonné von 2010) wählte Schaffer in Salzburg die Methode des Zerlegens und Neuzusammensetzens und bespielte die fein gegliederten Wände und hoch gewölbten Decken mit einem Gespinst von Wörtern und Satzteilen, die aus ihrem ursprünglichen Kontext und Sinnzusammenhang gerissen wurden. Die Besucher/innen, in einer Art Kakophonie einer unenträtselbaren Sprachverwirrung gefangen, konnten nicht davon lassen, in immer wieder ansetzenden Versuchen den Versatzstücken der erklärenden Texte einen Rest von Sinn zu entlocken. Nach dem Scheitern dieser Anstrengungen wurde die Sprache wieder offen für ihre poetischen Qualitäten und den appellativen Charakter der einzelnen Phrasen: wie z.B. Hängen und Warten bis die Welle kommt oder Teilnahme und Ausbreitung. Andererseits erinnerten Max Schaffers Wandtexte an Strategien der visuellen Poeten der 1960er, die mit Worten Textseiten wie Bilder gestalteten.
Ausgetestet und entworfen aber wurde und wird diese künstlerische Sprache auf der Straße. Schaffer entwickelt seine Schriftarbeiten in Auseinandersetzung mit einer Stadt in Phasen der Transformation. In Textarbeiten, die über einen längeren Zeitraum in unterschiedlichen Städten entstanden sind, adressiert er ein breites Publikum, schärft seine künstlerische Haltung durch eine bewusste Auswahl der Orte, an denen die Textarbeiten platziert werden, und eine Reduktion der Mittel, die ihm den Mehrwert einer unverkennbaren Trademark eintrugen. So finden sich seine Textarbeiten oftmals an Orten des Wandels des urbanen Raumes, etwa an Baustellen und der damit verbundenen Infrastruktur oder Gebäuden, die dem Abbruch gewidmet sind. Im Kontext der Kunst im öffentlichen Raum wiederum ist seine sehr reduzierte künstlerische Sprache – eine reine Schriftsprache – auffällig. Im Gegensatz zu einer Vielzahl von Arbeiten von Graffitikünstler/innen sind seine Texte für viele lesbar und die englische Sprache macht eine überregionale Rezeption möglich. Die Schriftarbeiten in schlank geschnittenen kursiven Großbuchstaben auf Verschalungen oder Fassadenverblendungen im öffentlichen Raum fallen auf und sind teilweise an prominenten Orten platziert.
Als beispielhaft zu bezeichnen wäre jene Arbeit, die ab 2010 in Wien entstanden ist und dort längere Zeit an einem stark frequentieren Ort in unterschiedlichen Zuständen zu sehen war: BETWEEN GESTURES OF NEW BEGINNING AND RHETORICS OF RUIN.
Auf eine an einem Baugerüst angebrachte Reproduktion der Hofburg, deren Gebäude gerade renoviert wurde – also im Zentrum der Macht des alten Reiches der k.u.k. Monarchie und am heutigen Sitz des österreichischen Bundespräsidenten – sprühte Max Schaffer ein Zitat des Kunsttheoretikers und Kurators Helmut Draxler: BETWEEN GESTURES OF NEW BEGINNING AND RHETORICS OF RUIN. 3 Lässt sich der Ausspruch einerseits auf eine Analyse und den Zustand der zeitgenössischen Malerei beziehen, so spricht er andererseits – positioniert im öffentlichen Raum an einem der wichtigsten Touristenmagneten Österreichs – auch Fragestellungen an, die mit der Identität und Zukunft des Landes selbst zu tun haben. Zusätzlich reflektiert die Arbeit ihre eigenen Möglichkeiten und Bedingungen in dem Sinne, dass sie ohne Auftrag im öffentlichen Raum entstanden ist. Der daran anschließende Prozess der versuchten Übermalung und Entfernung der Arbeit führte zu seinem Gegenteil und einem immer wieder unerwarteten Auftauchen des Zitates: im Durchschimmern und der immer noch teilweise gegebenen Lesbarkeit unter der weißen Übermalung oder dem durchgedruckten Text nach Abnahme der Fassadenverblendung durch den Künstler auf der darunterliegenden Faserplatte. Hier hat quasi der Text „zurückgeschlagen“ und die Versuche der Entfernung führten zu einer verlängerten Lebensdauer des gesprühten Textes. Dieser Moment der Veränderung der Arbeit im öffentlichen Raum, der intrinsisch zu den Bedingungen von Kunst im öffentlichen Raum gehört, wird bei Schaffer durch entsprechende Dokumentation und auch „Rückholung“ eines bestimmten Zustandes des Werks begleitet und gesteuert. So hielt er eben die unterschiedlichen Aggregatzustände der Arbeit fotografisch fest und schnitt zu guter Letzt den Text in einer nächtlichen Aktion aus der Fassadenverblendung heraus, um ihn in den institutionellen Raum eines Ausstellungshauses zu überführen. 4 Im Gegensatz zum aufwändigen Prozedere der offiziellen Kunst im öffentlichen Raum, welche nur mit Hilfe einer Vielzahl von Auswahl- und Bewilligungsverfahren verwirklicht werden kann, agiert Schaffers leichthändig, ohne Auftrag und ohne Budget und überlässt noch einen Teil der Gestaltung Dritten. Diese veredeln quasi die Arbeit – man könnte dafür am besten einen englischen Begriff verwenden: Die Arbeit wird von den Benutzer/innen des öffentlichen Raums bzw. den Besitzer/innen der Gebäude processed – einem Prozess unterworfen und dabei bearbeitet und verändert.
In seiner Wiener Zeit bearbeitet Max Schaffer den öffentlichen Raum intensiv. Auch ein Großteil seiner für Ausstellungen in Institutionen und Galerien entstandenen Arbeiten sind vom Habitus und dem Erfahrungshintergrund des Künstlers geprägt, der in der Nacht in der Stadt unterwegs ist. Die unterschiedlichen Fundstücke dieser Zeit – das ausrangierte Belüftungssystem der Secession, die Folie mit der fotografischen Reproduktion einer Großplastik von ATTRIBUTES OF MODIFICATION (Hill Arches), 2012 (Teil des Winterschutzes der Plastik von Henry Moore am Karlsplatz) oder eine alte Vitrine vom Naschmarkt (CONFESSIONS OF A POOR COLLECTOR, 2012) werden in Ausstellungen dieser Zeit integriert und in den Kontext der zeitgenössischen Kunst überführt.
Ein Fundstück der anderen Art verarbeitet Schaffer 2013 für seine Arbeit Moonlight Lounge in der Berliner Auguststraße. Dafür vergrößert er den Flyer einer Umzugsfirma und überträgt ihn auf die Fassade eines Hauses in Berlin Mitte, das lange besetzt war. Dass dafür Graffitis weichen mussten, welche dieses Haus lange Zeit zierten,könnte als Ironie der Geschichte bezeichnet werden. Wie Martha Rosler bereits 1989 in ihrem Projekt If You Lived Here zitierte, herrscht in Stadtvierteln der Erneuerung die offiziell ausgerufene politische Devise „If you can’t afford to live here, mo-o-ove!!“. 5 Moonlight Lounge könnte man von allen Arbeiten Schaffers als am explizitesten politisch bezeichnen, wenn man sie in den Kontext von Debatten um die Aufwertung von Stadtteilen durch die Ansiedlung von Künstler/innen und Galerien stellt.
Einen weiteren künstlerischen Grundgedanken Max Schaffers – nämlich die Verbindung und Durchdringung von innen und außen, institutionell und öffentlich – findet sich in einer Weiterführung der Salzburger Arbeit in den öffentlichen Raum mit anderen Mitteln: Für seine Ausstellung Power of Style in der GAK Gesellschaft für Aktuelle Kunst in Bremen integrierte Max Schaffer 2016 einen Auszug aus dem Pressetext in Touristenführungen für Ausflugsschiffe auf der Weser. Der kurze Ausschnitt wurde nahtlos in die Informationen zum Stadtraum auf den Schiffen integriert und trug sich – so der Wind mithalf und auch andere Rahmenbedingungen stimmig waren – über das Wasser in den Ausstellungsraum. Auf der anderen Seite nahm Schaffer Elemente des öffentlichen Raums in die Ausstellung z.B. in Form unterschiedlicher Bezüge zu Graffiti hinein. So wurden jene Telefonzeichnungen, die Schaffer im Außenraum gefunden hatte, durch Dritte auf die Wände der GAK gesprüht. Mit dieser Geste konstatierte der Künstler die Abnutzung der kritischen Potentiale einer einstmals als heroisch angesehenen Kunst der Straße.
Jene Grenze zwischen innen und außen – z.B. als Wand oder als Fenster von Schaffer von innen und außen bearbeitet, als Haut und Hülle behandelt, in welche Texte eingeschrieben werden – bildet den Brennpunkt von Schaffers Interesse und wird in Form der zusammengesunkenen Folie von ATTRIBUTES OF MODIFICATION (Hill Arches) 2012 als „Soft Sculpture“ zum paradigmatischen Werk.
Die Spuren einer Vielzahl unterschiedlicher künstlerischer Genealogien und Entwicklungsstränge sind in der Arbeit von Max Schaffer auffindbar und machen diese in besonderer Weise komplex und offen für Interpretation. Mehrere Felder bzw. Szenen wurden zeitweise gleichzeitig bespielt und gegebenenfalls Pseudonyme für die entsprechenden Betätigungsfelder gefunden. Dies führt zu einem Austesten und einer Überprüfung der künstlerischen Arbeit in Bezug auf ein heterogenes Publikum von Spezialist/innen und Laien. Ein multipler Belastungstest sozusagen und die Chance, die Vorteile und Spezifika der unterschiedlichen Felder in das jeweils andere zu tragen. In Bezug auf die Schriftarbeiten von Max Schaffer können diese vor dem Hintergrund der Geschichte der konzeptuellen Kunst und der Vielzahl an Schriftarbeiten z.B. von Robert Barry, Jenny Holzer, Jarosław Kosłowski oder Lawrence Weiner, politischer Agitation z.B. der Situationisten oder im Kontext der Kunst der Straße gelesen werden. Die „Macht seines Stils“leitet sich von der intelligenten und subtilen Weiterentwicklung eines Nachdenkens über Organisationsformen, ihrer Selbstdarstellung und der Frage der Durchdringung des institutionellen und des öffentlichen Raums her.
Hemma Schmutz
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Titel eines Schriftbildes von Guy Debord aus dem Jahr 1963, Sammlung Paul Destribats, Paris. ↩
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Die Ringgalerie des Salzburger Kunstvereins wurde vor Max Schaffer von Otto Zitko (2006), Dan Perjovschi (2009) und Constantin Luser (2011) gestaltet. ↩
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Helmut Draxler, „Malerei als Dispositiv“, in Texte zur Kunst, Nr. 77, 2010. ↩
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"35. Bremer Förderpreis für Bildende Kunst", Städtische Galerie Bremen, 2012. ↩
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Brian Wallis (Hg.), If You Lived Here. The City in Art, Theory, and Social Activism. A Project by Martha Rosler, Discussions in Contemporary Culture 6, Bay Press, Seattle 1991. ↩